Herbsttagung bei E+S Rück in Hannover

von Michael J. Steimer (80)

Gleich zu Beginn und in aller Bescheidenheit: Fachkreistagungen der VVB haben das Potenzial, die gesamte Versicherungsbranche zu transformieren! In der Zusammenfassung des Vortrages von Jörg Heiß von der Hannover Rück „Innovationen in der Rückversicherung“ wurde (natürlich) auch das Thema Blockchain angesprochen. Die Idee zur dort auch genannten Accounting-Anwendung „RITA“ entstand auf einer unserer letzten Tagungen in Zürich. Wie im Bericht erwähnt, könnte aus den Projekten RITA und B3i eine ganzheitliche Versicherungsblockchain entstehen, die einen Quantensprung in der Prozesseffizienz darstellen würde. Deshalb: Seien Sie auch bei künftigen Tagungen live dabei, und werden Sie Teil und Zeuge von bahnbrechenden Entwicklungen unserer Branche.

Trotz anlaufender Erneuerungsarbeiten hatten sich letztlich fast 40 Teilnehmer auf den wie immer sehr lohnenswerten Weg nach Hannover zur Herbstagung des Fachkreises Rück gemacht. Wir waren dieses Mal zu Gast im Hause der E+S Rück und genossen die Gastfreundschaft und Expertise des „Rückversicherers für Deutschland“, der als Konzerntochter der Hannover Rück der zweitgrößte Schaden-Rückversicherer im deutschen Markt ist. E+S Rück ist jedoch über konzerninterne Retrozessionsabkommen auch an den Entwicklungen der internationalen (Rück-)Versicherungsmärkte beteiligt.

Sowohl Hannover Rück als auch E+S Rück punkten neben marktspezifischer Expertise auch mit sehr soliden Ratings bei Standard & Poors sowie A.M Best (very strong / Superior). Nicht selbstverständlich heute verfolgt E+S Rück als vorrangiges Ziel eine auf Dauer angelegte Partnerschaft mit ihren Zedenten, unabhängig von kurzfristigen Marktveränderungen – und das seit nunmehr 95 Jahren.

Die Fachkreistagung in Hannover kam auf Einladung von Dr. Michael Pickel, Chairman of the Executive Board E+S Rückversicherung AG sowie Olaf Brock, Managing Director Finance & Accounting E+S Rückversicherung AG (sowie langjähriges Mitglied der VVB) zustande. Bereits an dieser Stelle ganz herzlichen Dank im Namen der VVB – auch an das Orga-Team bei E+S Rück – für diese großartige, rundum perfekt organisierte Veranstaltung. Die Fachkreisleitung befand sich in der komfortablen Situation, dass sowohl das fachliche als auch das Rahmenprogramm komplett von E+S Rück geplant war, inkl. Referenten von E+S Rück, Hannover Rück und HDI Global Specialty.

Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung des fachlichen Programms der Tagung. Sowohl die Räumlichkeiten als auch der Kreis der engagierten, fachlich versierten Teilnehmer erlaubten zusätzlich zu den spannenden und praxisrelevanten Referaten auch eine lebhafte Diskussion, die sowohl Referenten als auch Teilnehmer offensichtlich genossen.

Die ausführlichen Präsentationen finden Sie wie immer im internen Teil der VVB-Website (Nachlese).

Dr. Michael Pickel, den wir schon früher bei Mitgliederversammlungen der VVB als Redner begrüßen durften, sowie unser VVB Mitglied Olaf Brock begrüßten die Teilnehmer zusammen mit dem neuen Fachkreisleiter Rück der VVB, Christian Czempiel-Mentrak und gaben einen Ausblick auf die Themen des Tages:

Die Gastgeber Dr. Michael Pickel und Olaf Brock

Die Gastgeber Dr. Michael Pickel und Olaf Brock

Advanced Solutions – Ausprägungen und Anwendungsfelder

Kristof Herrmann, Actuary and Underwriter Advanced Solutions Germany von Hannover Re, gab einen Überblick über den Bereich Advanced Solutions und dessen Ausprägungen und Anwendungsfelder (Structured Reinsurance, Aggregate Cover, Tailor-made Solutions); siehe hierzu im Detail Graphik 1 (Advanced Solutions).

Grafik 1

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Grundsätzlich kann man sagen, dass Advanced Lösungen erste Wahl sind, wenn nicht nur der reine Risikotransfer im Vordergrund steht, so z.B. Steuerung von Solvenzanforderungen (wobei auch traditionelle RV solvenzentlastende Effekte hat), Reduzierung und Steuerung von Volatilität.

Der Bereich Advanced Solutions ist in den vergangenen 3 Jahren bei Hannover Rück stark gewachsen. Advanced-Lösungen werden bereits in 50 Ländern angeboten und generierten in 2018 eine (verdiente) Prämie von ca. 2,7 Mrd. Euro; Schwerpunkt ist mit über 50% immer noch USA, gefolgt von UK mit ca. 20%. Entwicklungspotential gibt es vor allem in Kontinentaleuropa (14%) sowie Asien (11%). Ca. ein Drittel der treaties (2018) sind Advanced XL Lösungen, ein weiteres Drittel X/L sowie das restliche Drittel Q/S. Advanced Lösungen erfordern viel Expertise und sind in geeigneten Fällen eine ausgezeichnete Alternative zur traditionellen RV. Sie sind jedoch nicht generell die preisgünstigere und bessere Lösung. Um gemeinsam mit den Zedenten optimale Lösungen – traditionell oder advanced – finden zu können, ist das Underwritung-Team mittlerweile auf 13 Mitarbeiter angewachsen (9 Mathematiker und 4 Volkswirtschaftler mit mathematischem Hintergrund).

Daneben gab Kristof Herrmann einen Überblick über IFRS 17. Ab 2022 müssen nach heutiger Planung börsennotierte Versicherungs-Konzerne ihre Bilanzierung auf diesen internationalen Standard umstellen, was die Bilanzwelt der Branche sehr verändern wird. Ziel von IFRS 17 ist letztlich die Schaffung von mehr Transparenz, Aktualität und Vergleichbarkeit auch im internationalen Vergleich. Kristof Herrmann erläuterte die Measurement Models PAA (Premium Allocation Approach) und BBA (Block Building Approach) im Vergleich zur jetzigen Vorgehensweise (s. Grafik 2 „The Measurement Models in Comparison“); abschließend erfolgte noch eine rückversicherungsspezifische Betrachtung von IFRS 17. Wenn Sie an Details zu diesem Thema interessiert sind, empfehlen wir Ihnen sehr die ausführlichen Präsentationsunterlagen von Kristof Herrmann, die Sie im internen Teil der VVB-Website finden.

Grafik 2

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Relokation der Inter Hannover von London nach Hannover

„The road to success is always under construction“ (Lily Tomlin) war das Motto des Vortrages von Thomas Stöckl, CFO HDI Global Specialty. Er berichtete über die Motivation und die umfangreichen Arbeiten im Zusammenhang mit der Relokation der Inter Hannover in London zurück nach Hannover als HDI Global Specialty im Jahr 2019. HDI Global Specialty wird als Spezialversicherer (diverse Specialty-Branchen wie Financial lines, D&O, Energy, Cyber, Pet&Farmstock, Marine, Aviation&Space, Contingency/Leisure&Entertainment, u.a.) im Konzern agieren und ab 2020 weitere Niederlassungen gründen. HDI Global Specialty ist ein joint venture von HDI Global und Hannover Re.

Der Brexit war nur einer unter diversen Gründen für den Umzug von London nach Hannover. Daneben standen strategische Überlegungen (engere Konzernanbindung, einfacheres Monitoring), Kosteneffizienz (Kostenführerschaft, bestehende Infrastruktur in Hannover) und Synergien durch eine einheitliche Versicherungsaufsicht. Das letztlich sehr erfolgreiche Relokations-Projekt stand unter erheblichem Zeitdruck (nur ca. 18 Monate), das laufende Geschäft wurde parallel zum Projekt bearbeitet und die Motivation im Team musste aufrecht erhalten werden. Die Talanx-Gruppe sieht globales Wachstumspotential im Bereich der specialty lines, auch durch die Kombination der vorhandenen Expertise im Konzern (s. Grafik 3 „Growth Initiative of Talanx“). HDI Global Specialty hat damit einen Vorteil im Gegensatz zu anderen Playern in diesem Marktsegment wie z.B. Beazley, Hiscox oder Markel. Vertriebsseitig wird HDI Global Specialty sowohl direkt mit VN/Brokern zusammenarbeiten als auch Vollmachten an qualifizierte Agencies oder Coverholder vergeben.

Grafik 3

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Der Deutsche K-Markt und das Zukunftsmodell Telematik

Stefan Schmuttermair, Senior Actuarial Analyst und Bereichsleiter Zentralbereich Deutschland der E+S Rück, referierte zum Deutschen K-Markt sowie dem Zukunftsmodell Telematik. Vom Gesamtbeitrag 2018 des deutschen Schaden-/Unfallgeschäfts in Höhe von 71 Mrd. Euro entfallen 28 Mrd. Euro, also der weitaus größte Teil, auf das K-Geschäft (gefolgt von Sach mit 20 Mrd. Euro). Von den 90 in 2018 im deutschen Markt tätigen K-Versicherern waren über 60 Kunden bei E+S Rück. Sowohl Anzahl der Fahrzeuge als auch Bruttobeiträge stiegen in den letzten 10 Jahren kontinuierlich. Der K-Markt ist 2019 erfreulich im Plus, für 2020 ist aber ein Ergebnisrückgang zu erwarten. Sowohl Sach- als auch Personenschäden verteuern sich stetig und wirken als Kostentreiber.

Telematik ist nach wie vor ein viel diskutiertes Thema im deutschen Markt, obwohl die Marktdurchdringung nur langsam vorankommt (ca. 230 Tsd. Policen/0,5%). „Gutes“ Fahrverhalten wird belohnt (Messung mit verschiedenen technischen Lösungen: Ort/Uhrzeit/Strecke, Beschleunigungs-/Brems-/Kurvenverhalten, Handynutzung/Geschwindigkeitsüberschreitunge). Eine Reihe von Versicherern bietet Telematiktarife mit unterschiedlicher Systematik/Einsparpotentialen an (s. Grafik 4 „Telematik, Angebote im deutschen Markt“).

Insgesamt hat die derzeitige Vorgehensweise des Marktes Optimierungspotential und E+S Rück bietet einen weiterentwickelten Ansatz an. Fahrverhalten rückt mehr in den Hintergrund, dafür erfolgt eine Fokussierung auf Fahrleistung und Regionalklasse, Erfassung zeitlicher Parameter (Tageszeit, Verkehrsaufkommen), Erfassung ortsabhängiger Parameter (Stadtverkehr, Landstraße, Autobahn), Handynutzung während der Fahrt, Assitance-Leistungen für den Nutzer (digitales Fahrtenbuch, Bereitstellung von Verkehrsinformationen); im Gegensatz zu einer Vielfalt an technischen Lösungen zur Erfassung, soll nur noch eine nutzerfreundliche App-Lösung zum Einsatz kommen.

Schmuttermair stellte die sehr ansprechend gemachte App vor. Auch vor dem Hintergrund der statistischen Auswertung und künftig dynamischeren Nutzung von Telematik-Daten besteht eine Kooperation sowie Stiftungsprofessur mit der Hochschule Harz.

Innovationen in der Rückversicherung/Big Data

Der letzte Vortrag des Tages war dazu geeignet, das Aufmerksamkeitsniveau auf hohem Level zu halten, ging es doch um das spannende Thema „Innovationen in der Rückversicherung“ / Big Data. Dazu freuten wir uns auf ein Wiedersehen mit Jörg Heiß, Senior Digital Architekt bei Hannover Rück. Heiß hatte bereits vor 3 Jahren bei einer unserer Fachkreistagungen bei Aon Re in Hamburg einen spannenden Vortrag zum Thema Blockchain gehalten.

In seinem heutigen Vortrag ging es um Beispiele für Datenanalysen, Datentransfers und darauf basierende Versicherungslösungen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass keine sinnvollen, internen Daten vorliegen oder nicht in ausreichendem Maße oder in ausreichender Qualität zur Verfügung stehen, wodurch auch keine sinnhaften Ergebnisse erzeugt werden können. Jörg Heiß erläuterte in diesem Zusammenhang das bildhafte GIGO Prinzip (s. Grafik 5 „Its all about data: Garbage in – Garbage out“). Eine Lösung ist die Nutzung von qualitativ guten und zudem noch oft frei verfügbaren externen Daten.

Ein Innovationsbereich für die Versicherungswirtschaft besteht in der Nutzung solch externer Daten zur Gewinnung neuer Erkenntnisse bzw. zur Steigerung der internen Effizienz. Heiß zeigte eine Reihe von Beispielen hierzu:

  • Im Internet verfügbare Daten über Profifußballer wurden genutzt, um ein Krankentagegeldprodukt für Profi-Fußballer zu ermöglichen.
  • Vorhandene Erntedaten wurden mit historischen Wetterdaten kombiniert, um automatisiert parametrische Produkte zu erstellen.
  • Auf Heat Maps werden Flutgebiete basierend auf öffentlichen Daten gekennzeichnet und mit internen Policy-Daten gemeinsam visualisiert.
  • Extern erstellte Natural-Language-Processing-Modelle werden genutzt, um Underwriter bei der Analyse langer Vertragsdokumente zu unterstützen.

Zu Innovationen im Umfeld Big Data gehören ebenso sensorgestützte Versicherungsprodukte. Ein innovatives Micro-Insurance-Produkt entsteht derzeit in Südafrika: Lumkani bietet Bewohnern von Townships vernetzte Feuer-/Rauchmelder an. Mit diesen wird nicht nur ein einzelner Haushalt bei Feuer alarmiert, sondern bei entsprechender Verbreitung auch ein Teil der Nachbarschaft, die dann gemeinsam Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Dies adressiert das Problem, dass in Townships die Feuerwehr Brandherde aufgrund fehlender Straßen nicht erreichen kann.

Eine allgemeine Herausforderung bei der Handhabung von Daten in der Versicherungswirtschaft besteht im Austausch von Daten zwischen Marktteilnehmern. Oft werden diese in elektronisch nicht verarbeitbarer Form ausgetauscht, so dass manuelle Zwischenschritte erforderlich sind. Mit B3i und RITA (Reinsurance Technical Accounting Blockchain) gibt es zwei Initiativen, die mit Distributed-Ledger-Technologie (Blockchain) die Effizienz steigern wollen. Es wurde der Ausblick diskutiert, dass B3i und RITA sich mittelfristig vereinen werden, um eine gemeinsame „Versicherungsblockchain“ bereitzustellen.

Zum Abschluss des Tages diskutierte die Fachkreisleitung noch mit den Teilnehmern Ideen zu beispielsweise neuen Tagungsformaten sowie auch zu Tagungsthemen. Wir werden die wertvollen Anregungen in die Überlegungen für künftige Tagungen aufnehmen.

Nochmals herzlichen Dank an E+S Rück für die Organisation der Tagung. Der (Rück-)Versicherungsstandort Hannover ist immer eine Reise wert, und wir freuen uns, dass im Mai dort bei VGH und HDI unsere Mitgliederversammlung und der Kommers 2020 stattfinden werden. Der Fachkreis Rück wird mit einer Reihe weiterer Fachkreise wieder eine bewährte gemeinsame Komposit-Fachkreistagung veranstalten. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen – vielleicht ja wieder mit bahnbrechenden Ideen.

Grafik 4

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Die Gastgeber, die Referenten und die Fachkreisleitung (von l. n. r.): Dr. Michael Pickel, Christian Czempiel-Mentrak, Kristof Herrmann, Olaf Brock, Stefan Schmuttermair, Thomas Stöckl, Jörg Heiß, Günter Laux, Michael Steimer

Die Gastgeber, die Referenten und die Fachkreisleitung (von l. n. r.): Dr. Michael Pickel, Christian Czempiel-Mentrak, Kristof Herrmann, Olaf Brock, Stefan Schmuttermair, Thomas Stöckl, Jörg Heiß, Günter Laux, Michael Steimer

Die Gäste lauschen Frau Dr. Cécile Teissier – daneben der Meisterschüler Sven Kanclerski

Die Gäste lauschen Frau Dr. Cécile Teissier – daneben der Meisterschüler Sven Kanclerski

Gäste bewundern Kunst mit Frau Dr. Cécile Teissier und dem Meisterschüler Sven Kanclerski

Gäste bewundern Kunst mit Frau Dr. Cécile Teissier und dem Meisterschüler Sven Kanclerski

Kunst bei der E+S Rück

Wie bei fast allen etablierten Rückversicherern, so spielt auch in den Geschäftsräumen der E+S Rück Kunst eine Rolle. Kunst inspiriert, öffnet, weitet den Geist für neue Sichtweisen und bietet Kommunikationsanlässe. E+S Rück fördert ausgewählte Studierende des Meisterschüler-Studiengangs der HBK Braunschweig, und die Tagungs-Teilnehmer, die bereits am Vorabend angereist waren, hatten die exklusive Möglichkeit einer Führung durch die jährlich wechselnde Ausstellung der 4 Meisterschüler 2019, von denen einer persönlich anwesend war, sowie durch eine Kunstexpertin der E+S Rück. Eine überaus inspirierende Abendveranstaltung.